Michael Thiele
Meine Gedichte schreibe ich auf dem Boden. Ich brauche Platz für Stifte und Papier, für Bücher, Booklets und Laptop, für Schere, Kleber und Schnipsel, da ich meist mit der Cut-up-Methode arbeite. Es grenzt für mich an ein Wunder zu sehen, welche Konstellationen und Bedeutungen sich ergeben, welche Brüche und doppelten Böden sich auftun können, wenn ich meine Notizen, die ich über Tage und Wochen gemacht habe, zerschneide und neu sortiere. Meine Gedichte entstehen zu Musik. Das ist wichtig, weil sich die Musik im Raum entfaltet und mich mit ihrer eigenen Atmosphäre wie ein Zelt umgibt, in dem ich arbeiten kann. Vor allem aber ist es eine Richtung, ein Ansporn, weil für mich die Musik auf so viel mehr Ebenen wirkt, als es die Literatur kann. Ich höre Synthie Pop, Dream Pop, House, Ambient oder einfach Pop, ich höre auf Text und Melodie. Mit dem Gedichttitel ist das so eine Sache: Selten steht er von Anfang an fest, etwa weil ich schon immer ein Gedicht mit diesem einen Titel schreiben wollte. Manchmal ist der Text fertig, aber mir will einfach kein Titel einfallen. Meist ergibt er sich parallel zur Arbeit am Text als etwas Übergeordnetes, eine Art Definition, oder er ist ein Zitat daraus. Wann ist die Arbeit an einem Gedicht abgeschlossen? Wenn ich nicht mehr darüber grüble, wenn ich damit im Reinen bin.