Geld stinkt nicht

Geld stinkt nicht, oder doch? Über Prenzlauerbergisierung und Syltisierung von Städten und Inseln sowie das Fehlen von jüdischem Leben

Geld stinkt nicht, sagte der römische Kaiser Vespasian und ließ die Steuern erhöhen, in dem er aus der Pisse seiner Untertanen Profit zog, z.B. zum Färben von Stoffen. Auch musste der Trend, Menschen in Arenen einander töten zu lassen und dabei Beifall zu klatschen, auf ein neues Level gehoben werden. Finanziert werden musste die neue Riesensplattershow als Teil der „Brot und Spiele“-Doktrin, ein Megadom des Gemetzels: das Kolosseum für das „römische Volk“. Die Kriegsbeute aus der Vernichtung Judäas 66 n.Chr., die Vertreibung der Juden aus dem Heiligen Land und das Schleifen Jerusalems und des Tempels genügten da längst nicht mehr zur Finanzierung. Möglich auch, dass Vespasian ein krasser Fetischist und Natursektliebhaber war, jedenfalls erfand er zugleich die Redewendung und einen Weg, Körperaussscheidungen in Marktzusammenhänge zu bringen. Nebenbei war das der Beginn einer zweitausendjährigen jüdischen Diaspora. Juden sollten bis zur Gründung Israels 1948 kein eigenes Land besitzen und ihr Glaube wandelte sich von der Tempel- zur Buchreligion.

Das bisschen Ibuprofen im Trinkwasser

Auf Blut und Pisse baute das Römische Reich seinen Reichtum auf. Heute muss der jüdische Staat noch immer seine Existenz vor großen Teilen der Welt rechtfertigen. Rom ist passé und es heißt Zuwasser gleich Abwasser, was besagt, dass wer Wasser aus den örtlichen Wasserwerken bezieht, auch für die Entsorgung des gebrauchten Wassers zahlt. Designerjeans werden damit wohl eher nicht behandelt, aber angesichts der Menge verschriebener Psychopharmaka und sonstiger zum Teil frei erhältlicher Medikamente wie Schmerzmittel und Antirezeptiva, deren Ausscheidungsreste gerade in Großstädten wie unserer aller Lieblingsstadt Berlin mit dem Abwasser in die Kanalisation fließen, die bei Starkregen in die Spree überläuft, zeigt es doch „einige“ bisher kaum bedachte Nebeneffekte. Was auch der Grund ist, warum man dort nicht baden sollte. Vor allem aber langfristige Wirkungen auf Flora und Fauna außerhalb der Stadt hat – negative Nachhaltigkeit sozusagen. Der Kreis schließt sich und wir nehmen auf, was wir ausscheiden. Was nichts Schlechtes per se ist, siehe das Prinzip Permakultur oder die Geheimnisse der besten Tomaten von Kleingärtnern.

Nur sollten Ausscheidungen zur Düngung gedacht im besten Fall von gesunden Menschen kommen, um nicht krank zu machen. Klingt logisch, ist aber kaum der Fall. Ein großer aber unterschätzter praktischer Denker der Gegenwart brachte es mit der Formel „Scheißt nicht auf Trinkwasser“ (Zirkeldreher) auf den Punkt und verweist zur Lösung des Problems u.a. auf das schlichte aber effektive Trennsystem einer Komposttoilette, bei der Fest von Flüssig getrennt wird, in dem man unkompliziert in zwei verschiedene Behälter macht, mit deren Inhalt dann etwa der eigene Kompost befüllt werden kann oder nach Verdünnung des Urins die Pflanzen direkt gegossen werden können. Dasselbe Prinzip wird bei der sagenhaften Wirkung von Pferdedung, Stallmist oder Taubenkot genutzt – leidenschaftliche Gärtner schwören drauf.

Schreckbild Schere

Nun gibt es in „unserem schönen Land“ wie auch anderswo Arme und Reiche und eine Schere, die zwischen beiden immer größer wird, nicht nur größer zu werden scheint. Während die Städte wachsen, nimmt die Landbevölkerung noch immer ab. Glaubt man den Statistiken. Besucht man mal einen der von wem auch immer als „in“ betitelten Bezirke einer deutschen Großstadt, stellt man fest, dass Geld sehr wohl stinkt, anders als der antike Golden-Shower-Liebhaber Vespasian behaupten haben will. Es stinkt wie Hochglanzlack und Plastik in der Sonne, die auf den neuen [Lieblingsaltnaziautomarke ergänzen]-SUV scheint. Es stinkt wie das neue Parfum von [Lieblingsmarke ergänzen], dass sich hartnäckig in der Luft hält wie billiger Fusel. Es stinkt wie die neue Kollektion von [Lieblings-Fast-Fashion-Marke ergänzen] –nach Formaldehyd, das den Geruch von Schweiß und Blut aus den südostasiatischen Sweatshops der ausgebeuteten Arbeiterschaft überdeckt.

Aber: solange das Geld – manifest geworden in der Kleidung der buchstäblich Gutbetuchten sowie ihren Gesichtern (nicht den Augen!) – der nach außen politisch grünen, nach innen neoliberal-Geiz-gelb gefärbten bessergestellen Deutschen – glänzt und diese halblaut verkünden „Nein zu Antisemetismus“ ist doch alles klar, oder nicht. Nein, denn das Geld glänzt wie Salzboden. Schön an der Oberfläche, tot darunter.

Und politisch wie gesellschaftlich ändert sich exakt nichts, im Gegenteil. Selbst von höchster Stelle schlägt einem die Egalhaltung der Besserstehenden entgegen. Jüdisches Leben ist übrigens in Berlin, der Hauptstadt des Holocausts, noch immer so gut wie unsichtbar, gern beschränkt auf Gastronomie oder erschreckend notwendigerweise dauerpolizeigeschützt. Humus lässt sich eher wenig hassen. Antisemetische Angriffe scheinen dagegen Normalität zu sein, selbst im unaufgeregt aufgeregten bürgerlich scheinaufegklärten Herzen von Prenlauer Berg.

Längst macht da nicht mehr jede und jeder mit, gerade die Jüngeren. Ein Teil der kommenden Generation ist schon jetzt unendlich gelangweilt vom wie selbstverständlich ausgestellten Reichtum und Protz des Geldbürgertums und seiner historischen Ignoranz. Und manche ziehen, können sie es sich denn leisten, aufs Land. Mit „irren“ Ideen wie (teilweiser) Selbstversorgung im Kopf und vielleicht Remote-Arbeit, wenn die Deutsche Telekom mit ihren Glasfasernetzplänen das zulassen möchte. Auch um ihre eigene Idee von einer aufgeklärten Gesellschaft zu leben, ohne den Druck des Geldes und den alles bestimmenden Wertmaßstäben, die davon ausgehen. Die städtische Realität, vom alten neuen Wohlstand bestimmt, sieht derweil so aus:

I want my Prenzlauer Berg

Da, wo sich das Geld in den Städten breit macht, stinkt es neben den Edelmarkenausdünstungen nach frisch geröstetem und aufgebrühtem Kaffee, Bananabread und Croissants aus dem xten neu aufgemachten Très-chic-Café unten an der Ecke, dass internationale Kaffeekultur auch endlich in deinen einstigen Arbeiterkiez bringt. Süffig, süßlich, klebrig, zum Übergeben lecker.

Weiter geht’s an einem durchnittlichen Wochentag im Leben der Reichen so: Nach dem genossenen Teuerheißgetränk lässt sich für Touristen wie Vermögende mit zu viel Freizeit eine Shoppingtour in den ewigen Nippesläden mit schickem Namen anschließen. Vielleicht noch bei dem neu aufgemachten Juwelier ein Diadem aussuchen, passend zum Prinzessinenhochzeitskleid, das bei Prosecco und Knabberbrezeln mit den Brautjungfern im neu aufgemachten Brautmodengeschäft anprobiert werden kann. Prost. Der zukünftige Ehemann besäuft sich währenddessen mit den „Buddys“ wechselweise mit internationalen Bierspezialitäten und den zum Jubeln günstigen „Traditionsbieren“ deutscher Brauereien, mit denen sie sich schon als 16-Jährige berauschten und bekotzten. Die Mischung machts.

Danach noch einen Kaffee und gleich etwas vegane Salamiwurst oder Biokamelkäse aus den Abruzzen oder dem Oman im neu aufgemachten Spezialitätengeschäft von den scheißegutgelaunten Jungmenschen aus der Provinz mit Lieblingshassdialekt hinterm Tresen einpacken lassen, während die überzüchteten, röchelnden Hundchen gemütlich auf den Gehweg kacken und an jede (an wirklich jede!) Hauseingangecke pissen. Noch mal: Prost, Deutschland.

In-Bezirke sind wie Inseln. Drumherum ist alles Rand, abgelegene Uferregion. Da wo die Armut hockt und alle anderen, die Geld mit eigenen Händen verdienen.

Verfügt „unser schönes Land“ nicht auch über paar richtige Inseln – also von Wasser umgeben und nicht nur mit Armut? Na, aber! Gut, es sind zwar nur Nord- und Ostsee und nicht Mittelmeerparadiese in der Adria oder Ägäis, doch die deutschen Inseln tragen immerhin so semigeile Namen wie Föhr, Usedom, Rügen, Darss (sogar mit Artikel) und, klar, Sylt. Namen die irgendwie fremd klingen, wenn auch nicht so easy wie Mallorca oder Kreta. Eben eher kühl und schön wie die Charaktereigenschaften, die den „Leuten von der Küste“ nachgesagt werden. Inseln, die in der Nähe zu den ewigen Sehnsuchtsländern der Deutschen in Skandinavien liegen und deshalb schon sich mehr international anfühlen als die Kartoffelnamen Mecklenburg-Vorpommern oder Schleswig-Holstein vermuten lassen, die drögen Bundesländer, in denen viele dieser bemerkenswerten Inseln liegen.

Endstation: Kadaveranstalt

Da wir gesellschaftlich bereits grob zwischen Arm und Reich unterschieden haben, folgt die Unterscheidung zwischen Leuten mit Grundbesitz und solchen ohne. Es gibt noch eine Zwischenkategorie, die näher am Arme-Schweine-Sektor dran ist. Es sind Leute mit Grundbesitz, z.B. vererbtem, die sonst aber leistungsgesellschaftlich irrelevant sind: Joblose, Armutsrentner, Alkoholiker und sonstig sozial, also wirtschaftlich Abgehängte. Menschen, die einmal Kinder von Menschen waren, die früher „etwas hatten“, sich „etwas aufgebaut haben“. Auch diese Nachgekommenen im vorgerückten Alter werden irgendwann in einem Altenheim Schrägstrich einer Kadaveranstalt abgekippt, wo ein Zimmer mit Pflege mal locker 2500 Euro im Monat (und steigend) Eigenzuzahlung kostet. Altenheime sind damit die frech überteuertsten Hotels bei zugleich schlechtestem Service der Welt. Was nicht unwesentlich daran liegt, dass Altenheime wie Krankenhäuser oder IT-Firmen eben wie Konzerne arbeiten – abhängig von Investoren, die Geld für sich arbeiten lassen. Ein bestimmter Anteil muss dann auch erst einmal zu Armortisierung des Altenheimneubaus abgehen – direkt in die geldschwere Investorentasche.

Bitte keine Aufregung. Irgendwo muss man mit den Alten ja hin – Zeit und Lust, sie zu Hause bis zum Tod zu pflegen, hat niemand und will keiner aufbringen. Bleibt als Ausweg eben nur die Kadaveranstalt Schrägstrich Altenheim. Womit finanziert man den „Aufenthalt“ in der „Endstation Herbstsonne“ oder wie sie nicht alle heißen, diese Hospize mit Ausblick, wenn man nichts auf der hohen Kante hat als dieses Riesengrundstück mit einem verfallenden Haus drauf im Speckgürtel von BerlinHamburgStuttgartDüsseldorf usw. – seit so und so viel Generationen in Familienbesitz?

Man verkauft an den Erstbesten, der einen mittleren fünfstelligen Betrag aus dem Handgelenk schüttelt und ist um sein Erbe gebracht. Damit verlässt das Prekariat die Bühne und macht Platz für Schöneres: Menschen mit Geld und ihren „Projekten“. Auf diesen Speckgürtelgrundstücken lässt sich nämlich prima bauen, z.B. so ein schickes Heinz-von-Heiden-Häuschen oder irgendein anderes Katalogeigenheim aus der Hölle der ästhetischen Mittelmäßigkeit. Steingarten und Schotterbeet drum, Rododendron gesetzt – fertig ist es, das Zuhause des Grauens der Reichen.

Zwischenstopp auf dem Weg zum Mars: Inselreich der Reichen

Kurzer Zeitsprung. Man hat nun als durschnittlicher Geldmensch bzw. Millionär alle möglichen Stadtquartiere prenzlauerbergisiert und die Speckgürtelgebiete mit seiner Version von „Haus“ um paar Hundert Prozent im Wert gesteigert. Das nächste Projekt also auf dem Weg zum Platz in der Marsrakete kann nur „etwas“ in den Bergen sein oder eben am Meer. Ostig genug waren bspw. bis vor Kurzem (letzten 15 bis 20 Jahre) noch die Ostseeinseln, sodass man mit Säcken voller Geld null problemo für paar Hunderttausend ein schönes Zweite-Reihe-Haus in wenigen Hundert Meter strandnähe kaufen/bauen konnte. Jetzt kosten diese Immobilien halt paar Millionen mehr, aber wen kümmert das, man hat’s ja. Und so schreitet sie überall voran, die Syltisierung, auf den deutschen Ostsee- und Nordseeinseln, wenn der Sand nur fein und das Meer blau genug ist, um Instagram-, Pinterest- und Immobilienportfolio-tauglich zu sein.

Da schreckt man auch nicht davor zurück, etwa den Hitler/Speer-KdF-Alptraum vom „Sommerstrand für alle“ in Prora auf Rügen – einen Hunderte Meter langen Betonriegel im Kasernenstil – zu Ferien- und Eigenheimen für die obere Mittelschicht (die Neidhammel unter den Fast-Reichen) auszubauen.

Investitionsmöglichkeiten mit anderen Worten, denn, warum die „Errungenschaften der Vergangenheit“ nicht auch heute noch nutzen, zudem der Beton der Nazis erst nach hundert Jahren aushärtet, wovon so mancher Bunkerliebhaber zu schwärmen weiß – somit erst noch so richtig vor der Reife steht. Auch hier: Prost. War eben nicht alles schlecht „damals“, oder? Wie Autobahnen und Eintopftage, „Jugendorganisationen“ und Euthanasie – ups, auf den Blättern des Schwarzbuchs der korrekten Sprache ausgerutscht. Prost again, Deutschland.

Jüdisches Leben an der Küste, wo es einst präsent war, wie in den „Kaiserbädern“ auf Usedom, auch hier: Fehlanzeige.

Hoch die Tassen oder Auf in die Kleptokratie

Bald also wird erreicht sein, in „unserem schönen Land“, was der Traum des neuen Geldbürgetums gefühlt schon lange ist: die Refeudalisierung der Gesellschaft, in der nicht Leistung (haha) – das Leerversprechen der Sozialdemokratie und die Leitphilosophie der Christdemokraten –, sondern ganz offen das Geld regiert. Aristokratie, Oligarchie, Absolutismus – you name it. Ja, warum denn nicht. Oder kommt niemand der Verdacht, dass wir auf dem Weg, wenn wir nicht schon längst da sind, in die Kleptodemokratie sind? In der „im Rahmen der Gesetze“ sich jeder bedienen kann, wie er will und jeder profitiert, der nur nicht dumm genug ist, ein Gewissen zu entwickeln. Dabei hinunter schaut auf das dumme Volk, arrogant, tun als könnte man „sich nicht erinnern“.

Zugleich sind es diese Besserbürger, die auf die bösen Antihumanisten im Osten und Fernen Osten schimpfen, denen das Wohl der Menschen ja wohl „gar nicht am Herzen“ liegt. Und orientiert sich stattdessen weiterhin am Bruderstaat USA, wo noch der wahre puritanische Arbeitsethos herrscht und jeder, der nur richtig träumt, zu seinen Millionen kommt gleich Lebensziel aller. Zwinkersmiley.

Vielleicht sieht sie so aus, die Schere zwischen Arm und Reich, wollte man paar weitere Bilder als Illustration finden: Die einen düngen ihre Radisschen mit ihren Ausscheidungen und freuen sich über das „eigene, kleine Stück Land“, auf dem sie es gezogen haben. Und diskutieren in ihrer Freizeit Lösungen des Nahostkonflikts.

Die anderen fliegen wochenends im Privatjet in ihr „Feriendomizil“ an der Nord-/Ostseeküste, würzen Kaviar mit Goldstsaub und schlürfen Katzenkackekaffee. Und: tauschen die neuesten Steuertricks und Spendengelder aus. Und: um der politischen Korrektheit willen, diskutieren zwischen paar Lachshäppchen Lösungen des Nahostkonflikts.

Wie auch immer, die Ergebnisse können wir auf entsprechenden Social-Media-Kanälen und der durchboulevardisierten Presselandschaft angucken und uns so richtig schön ärgern. Uns, wir, das dumme Volk, das sich zum Ausgleich paar Stunden lang Katzenvideos zum Runterkommen vom „Dauerstress des Lebens“ (gleich Arbeit im Niedriglohnsektor, Kindererziehung, Miet- und Energiekosten, Streaming-Abos, Selbstmordgedanken) ansehen und in überteuerten Mietwohnungen sitzen, um auf die Einlieferung in die Kadaveranstalt zu warten statt auf die „Verwirklichung unserer Träume“. Vielleicht mal wieder ein Kolosseum bauen? Prost etc.